Griechenland: Erstmals wird eine Frau Staatspräsidentin (2024)

Die Wahl von Katerina Sakellaropoulou hat hohen Symbolwert. Frauen sind in der griechischen Politlandschaft stark untervertreten. Ihr Erfolg ist aber auch ein politischer Sieg für Ministerpräsident Mitsotakis.

Volker Pabst, Istanbul

Griechenland: Erstmals wird eine Frau Staatspräsidentin (1)

Kurz nach ihrer Wahl zur Präsidentin Griechenlands erklärte Katerina Sakellaropoulou, sie strebe in ihren Amtsgeschäften den grösstmöglichen gesellschaftlichen Konsens an. Die Voraussetzungen hierfür sind günstig. Zum ersten Mal haben die drei grössten Fraktionen des griechischen Parlaments dieselbe Kandidatin für das höchste Staatsamt unterstützt: die regierende Nea Dimokratia von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, die linke Oppositionspartei Syriza des früheren Regierungschefs Alexis Tsipras und das Bündnis Kinal, das von der sozialdemokratischen Pasok geprägt ist. Entsprechend eindeutig war das Ergebnis der Wahl am Mittwoch: 261 von 300 Abgeordneten stimmten für die Kandidatin der Regierung.

Tiefe Frauenquote

Aufsehenerregender ist freilich eine andere Premiere. Zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands ist eine Frau Staatsoberhaupt. Auch wenn das Amt vor allem repräsentative Aufgaben umfasst, ist Sakellaropoulous Wahl von grosser symbolischer Bedeutung. In Griechenland sind Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Nur 56 der 300 Abgeordneten im Parlament sind Frauen, knapp 18 Prozent. Noch extremer ist das Missverhältnis im gegenwärtigen Kabinett, von dessen 51 Mitgliedern nur gerade 5 Frauen sind. Der Anteil an Frauen in Firmenvorständen liegt bei unter 10 Prozent.

Theodosia Tantarou-Kriggou, die Präsidentin des Forschungszentrums für Gleichstellung (Kethi) in Athen, erklärt, dass Frauen sich sehr wohl um politische Ämter bemühten, besonders auf regionaler Ebene – obwohl die Arbeitsbelastung in der Familie noch immer sehr ungleich verteilt sei. Geschlechtsspezifische Vorurteile und traditionelle Rollenbilder führten aber dazu, dass Frauen bei Wahlen meist schlechtere Chancen hätten. Die seit letztem Jahr geltende Quotenregelung von 40 Prozent für Parteilisten bei nationalen Wahlen sei zu begrüssen, doch müssten die Kandidatinnen auch gewählt werden.

Spitzenpolitikerinnen gab es in der Vergangenheit kaum. Ausnahmen waren die ehemalige Ministerpräsidentin Vassiliki Thanou-Christophilou, die ihr Amt allerdings nur in den wenigen Wochen zwischen Tsipras’ Rücktritt und seiner Wiederwahl bekleidete, und die frühere Aussenministerin Dora Bakogianni, die als Tochter eines früheren und Schwester des gegenwärtigen Regierungschefs einer der mächtigsten Politikerdynastien des Landes entstammt.

Progressive Richterin

Sakellaropoulou hat demgegenüber ohne die Rückendeckung durch eine Partei oder eine Familie Karriere gemacht. Mit Ausnahme eines Studienaufenthalts in Paris ist die 64-jährige Staats- und Verfassungsrechtlerin aus Thessaloniki seit mehr als drei Jahrzehnten im sogenannten Staatsrat, dem höchsten Gericht Griechenlands, beschäftigt. 2018 wurde die glänzende Juristin zu dessen Präsidentin und somit zur obersten Richterin des Landes ernannt. Schon auf dieser Position war sie die erste Frau.

Die geschiedene Mutter eines Sohnes hat in gesellschaftspolitischen Fragen progressive Positionen vertreten und sich etwa für die Streichung des Religionseintrags auf Identitätskarten eingesetzt. Während der harten Sparprogramme in der Wirtschaftskrise trat sie für soziale Gerechtigkeit ein. Sie profilierte sich besonders in Fragen des Umweltschutzes, liess sich aber nie in politische Lagerkämpfe hineinziehen. Für ihre unbestrittene fachliche Qualifikation zollt man ihr von allen Seiten Respekt.

Geschickter Schachzug von Mitsotakis

Der konservative Ministerpräsident Mitsotakis hat mit Sakellaropoulou sicherlich keiner natürlichen Verbündeten den Weg ins höchste Staatsamt geebnet. Bereits kurz nach seinem Wahlsieg im Juli 2019 hatte der Regierungschef angekündigt, ein kontroverses, von Umweltverbänden bekämpftes Goldminen-Projekt auf der Chalkidiki zu deblockieren.

Dennoch dürfte sich der Schachzug für Mitsotakis auszahlen. Er kann damit die tiefe Scharte des geradezu anachronistischen Geschlechterverhältnisses in seinem Kabinett zumindest etwas auswetzen. Dieses hatte ihm viel Kritik eingebracht und seiner Eigendarstellung als Modernisierer von Partei und Land beträchtlichen Schaden zugefügt. Die Erklärung, es habe schlicht zu wenig valable Kandidatinnen gegeben, wirkte immer hilflos.

Zudem war die von ihm präsentierte Kandidatin von der linken Opposition kaum abzulehnen. Das klare Wahlergebnis vom Mittwoch stärkt nicht nur der neuen Präsidentin den Rücken, sondern auch dem Regierungschef. Mitsotakis hat immer erklärt, er wolle die Polarisierung der letzten Jahre hinter sich lassen. Viele Kommentatoren stimmen zu, dass gerade zurzeit ein geeintes Auftreten des Landes von besonderer Wichtigkeit sei. Die sich zuspitzende Konfrontation mit der Türkei im östlichen Mittelmeer wird von vielen Griechen als ernsthaftes Sicherheitsrisiko betrachtet.

Entsprechend positiv ist das Echo auf die Wahl. Auf linker Seite wird allenfalls geargwöhnt, dass es Mitsotakis im Grunde nicht um Frauenförderung, sondern um Machtpolitik gehe. Tatsächlich wird es mehr als eine Präsidentin brauchen, um die patriarchalischen Muster im griechischen Politsystem zu durchbrechen. «Aber die Wahl vom Mittwoch unterstreicht», erklärt Theodosia Tantarou-Kriggou von der Denkfabrik Kethi, «dass das Geschlecht nicht bestimmt, was eine Person erreichen kann.»

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